Das Tor nach Niihama

 

Ein Großteil der Halbpferde fiel auf seine Finte herein und folgte ihm mit wütendem Gebrüll. Nur vier Halbpferde folgten Lucy und mir. In der Vorfreude auf den Spaß, den sie nun erwarteten, machten sie sich lustig über unsere verzweifelten Versuche ihnen zu entkommen. Sie galoppierten, leicht versetzt, im gleich bleibenden Abstand hinter uns her und verhöhnten uns mit spöttischen Rufen. Als die Zentauren dann aber erkannten, dass wir uns bei den Felsen in Sicherheit bringen wollten, wurden sie wieder schneller.

Plötzlich stolperte meine Stute und wieherte laut und schmerzlich. Sie hatte in ein vom Gras verdecktes Loch getreten. Sie humpelte noch ein paar Schritte weiter. Aber dann traf sie ein Pfeil, der tief in ihre Flanke eindrang. Gequält schnaubte sie, warf den Kopf hin und her und blieb endgültig stehen. Bis zum Felsen waren es nur noch etwa 200 Meter. Ich schrie Lucy zu: “Du schaffst es! Dann zeig mal, was du mit deinem Bogen alles kannst.“ Lucy beugte sich noch tiefer über den Hals ihres schwarzen Hengstes und stieß ihm verzweifelt die Hacken in die Seiten. Zwei Pfeile verfehlten Lucy nur ganz knapp, streiften aber den Rappen. Ihr Tier wieherte gequält auf und mobilisierte seine letzten Kräfte. Die Halbpferde ließen Lucy davon reiten, zuerst wollten sie mich lebend fangen. Um Lucy würden sie sich später kümmern, weil die anderen Zentauren ihr sowieso den Fluchtweg zum Wald versperrten.

Mein Reitpferd stand mit zitternden Flanken und röchelte herzzerreißend, das Maul voller Schaumflocken. Die Halbpferde jubelten triumphierend und schlossen zu mir auf. Ich sprang ab. Im gleichen Augenblick durchbohrte meine Stute ein Speer. Blut quoll ihr aus den Nüstern. Gepeinigt wieherte sie und knickte mit den Vorderbeinen ein, fiel zur Seite und verendete. Ich zog eine Saigabel aus ihrer Hülle und sprang hinter mein totes Pferd in Deckung. Die siegessicheren Bestien trabten im Kreis um mich herum. Sie verhöhnten mich und ergötzten sich an schmutzigen Andeutungen darüber, was sie alles mit mir anstellen würden. Dieser Moment tödlicher Gefahr setzte in mir eine bisher unbekannte Stärke frei. Adrenalin schoss durch meine Adern und blendete meine Angst einfach aus. Mit einem nie gekannten Hochgefühl fieberte ich selbstbewusst meinem Kampf mit den Zentauren entgegen. Es war wohl der Mut der Verzweiflung. „Wenn ihr mich haben wollt, dann müsst ihr mich schon holen kommen“, schrie ich. Dabei hob ich meine linke geballte Faust und lachte höhnisch: "Ihr hirnlosen Klepper seid doch nur in der Meute stark!"

Davon fühlte sich eines der Monster persönlich herausgefordert, preschte vor und wollte mich über den Haufen reiten. Kurz bevor es mich erreichte machte ich eine Rolle seitwärts. Der Zentaur konnte seinen Schwung nicht mehr abbremsen und galoppierte an mir vorüber. In diesem Moment warf ich ihm meine Saigabel mit aller Kraft nach. Sie stach in sein Genick und blieb dort stecken. Er stieg lautlos mit den Vorderbeinen hoch und polterte, hinter mir, tödlich getroffen zu Boden. Die drei übrigen Zentauren brüllten mit wutverzerrten Gesichtern auf. Sie richteten bedrohlich ihre Lanzen auf mich und galoppierten blindwütig auf mich zu. Anscheinend war es ihnen jetzt nicht mehr so wichtig, mich lebend zu bekommen. Meine missliche Lage wurde noch brenzliger, aber ich vertraute auf mein Katana ‚Aku Ryou Taisan‘.

Als sie meine Stellung fast erreicht hatten, riss ich mein Langschwert aus der Saya. Mit einem Kampfschrei sprang ich über mein totes Pferd hinweg, direkt auf den linken Angreifer zu. Damit hatte er nicht gerechnet. Überrascht bremste das Monster seinen schwungvollen Lauf ab. In diesem Moment vollführte ich einen Zenpo Kaiten, um die Distanz zwischen uns noch mehr zu verringern. Ich kam aus der Vorwärtsrolle hoch und führte mit meinem Schwert sogleich einen Tabigata aus. Damit durchtrennte ich ihm seine beiden Vorderläufe. Der verletzte Zentaur knickte mit schrillen Schmerzens-schreien nach vorne weg. Direkt vor mir wand er sich auf dem Boden. Da trennte ich ihm mit einem schnellen Kaishaku-Streich den Kopf von den Schultern. Ich sprang zur Seite und drehte mich um. Mit erhobenen Katana, auf dessen Schneide zwei Blutstropfen wie Rubine im Sonnenlicht funkelten, erwartete ich den Angriff der beiden anderen Zentauren. Aber der Kampf war schon vorbei. Lucy hatte eingegriffen.

Das dritte Halbpferd lag röchelnd mehrere Meter vor mir im Gras, zwei Pfeile steckten in seiner Brust. Mit einem letzten Schnaufer verendete es gerade. Das vierte und letzte traf sie mit einem Pfeil in den Kopf. Mit schaurigem Schrei brach es einige Schritte von mir entfernt zusammen. Lucy stand auf dem Felsen und schwenkte triumphierend den Bogen. Ich ließ mein Schwert sinken. Ich bebte am ganzen Körper. Im Hochgefühl des Sieges holte ich mir eilig meine Saigabel zurück. Einer der Zentauren trug noch sein Halstuch. Damit säuberte ich flüchtig meine Waffen. Ich steckte meine Gabel und das Schwert wieder weg. Dann lief ich zu den von Lucy getöteten Halbpferden und zog mit einem Ruck die Pfeile aus den Kadavern heraus. Lucy würde sie bestimmt noch brauchen. Währenddessen sah ich mich nach Marc um.

Dem klebten sechs Halbpferde an den Hacken. Ich bemerkte, dass die übrigen Halbpferde sich am Waldrand gesammelten hatten. Nun galoppierten sie zurück, direkt auf uns zu. Marc sah mich neben den toten Zentauren stehen und blickte zu den Felsen hinüber, auf denen Lucy stand und mit dem Bogen winkte.

Er änderte mit einem wilden Manöver seine Richtung; fast wäre sein Mustang dabei mit den Vorderläufen eingeknickt. Mit gezogenem Langschwert galoppierte er nun auf die Halbpferde zu, die er damit vollkommen überraschte. Einen Moment später war er mitten in ihren Reihen, laut schreiend hieb er links und rechts mit seinem Katana auf die Bestien ein. Sein Durchbruch gelang, weil zwei der Zentauren sich gegenseitig behinderten bei dem Versuch, ihn zu erwischen. Sie gerieten ins Stolpern und ein weiteres Monster brach unter dem kräftigen Streich seines Dämonenbringers zusammen. Dadurch brachte Marc einige Meter Abstand zwischen sich und die Halbpferde. Nun fand er sogar noch die Zeit, mich auf dem Weg zu den rettenden Felsen aufzunehmen.

Mit triumphierendem Schrei gab Marc seinem Mustang die Zügel frei und galoppierte auf mich zu. Im Vorbeireiten packte er meine Hand und zog mich hoch auf den Rücken seines Pferdes. Wütend verfolgten uns die übrigen Zentauren. Damit begann Lucys Galavorstellung von japanischem Bogenschießen. Hoch aufgerichtet stand sie auf dem Felsen. Wie auf dem Schießplatz feuerte sie Pfeil auf Pfeil ab. 

Die Artefakte der Götter Erstes Buch, Teil 1 - Das Tor nach Niihama

e-Book: ISBN: 978-3-86850-398-2/ print-Book: ISBN: 978-3-8495-0339-0 http://www.tredition.de/?books/ID28737/Die-Artefakte-der-Goetter http://www.tredition.de/?books/ID28788/Die-Artefakte-der-Goetter

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